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Der Informatikkaufmann und die Wildnis

5 auszubildende Informatikkaufleute der BLISTA absolvieren ein Outdoor-Training im Vogelsberg

Von David Georgi

Man stelle sich einmal einen Informatiker im sonnigen Herbst in einem dunklen Wald von hungrigen Wölfen gejagt vor. Hier ist der Informatiker geradezu in seinem Element. Er steht nämlich vor einem Problem, und solche zu lösen hat er ja während seiner Ausbildung sehr ausführlich und mühsam erlernt. Das Problem ist zwar bereits gegeben, aber irgendwann einmal hat er vor langer, langer Zeit erfahren, dass ein Problem erst spezifiziert sein will. Er beginnt also: Gegeben: Landschaft mit 5 Informatikern und n Wölfen, Element N. Gesucht: Landschaft mit 5 Informatikern und keinen Wölfen. Lösungsweg:???

Klingt abwegig? Nach einem typischen Informatikerwitz? Nicht ganz. Denn 5 Auszubildende Informatikkaufleute der BLISTA erarbeiteten diverse Lösungswege zu verschiedenen Aufgabenstellungen bei einem Outdoor-Training im Vogelsberg – 10km von Lauterbach entfernt.

Julia Heuß, angehende Diplom- Sozialpädagogin hatte die Idee: „Ich habe in meinem Praktikum schon Erfahrungen mit erlebnispädagogischen Schulklassenkursen gesammelt und vor allem über die Medien etwas über den speziellen Typus der Erlebnispädagogik namens Outdoor- Training erfahren. Ich fand es schon immer interessant auch mal mit Erwachsenen zu arbeiten. Die Idee ein Training speziell mit Blinden/ Sehbehinderten auszuprobieren kam mir, als mein blinder Studienfreund mich in meinem Praktikum besuchte und wir beide Klettern waren. Ich dachte mir dann, wieso eigentlich nicht mal einen Kurs mit einer anderen Zielgruppe als "normalen" Schülern ausprobieren?“

Und so stand sie im vergangenen April in mitten unseres von Computer summenden Büros und unterbreitete uns ihre Idee von einem Outdoor-Wochenende im September. Nur wage hatten wir eine Vorstellung davon, was uns genau in der „freien Wildbahn“ erwarten würde.

Und so fuhren wir am Freitag, den 22.09.2006 in Richtung Lauterbach in die Wildnis. Dort, das Ziel fast erreicht, standen wir vor unserer Unterkunft und kamen doch nicht herein. Mit Hilfe von 4 (leeren) Bierkästen sollten wir eine etwa 10m lange Strecke überwinden, die uns als „ein Moor“ vorgestellt wurde. Aha, die erste Aufgabe. Das „Moor“ durfte dabei nur mit den Kisten berührt werden. Die Ufer waren durch Seile markiert und zu weit auseinander, um mit einem Versuch ans andere Ufer zu gelangen, sprich die rettende Tür zur Unterkunft. Die Kisten mussten also, Stück für Stück, nach vorn gereicht werden. Anfänglich noch etwas ängstlich fanden wir recht schnell zu einem teamumspannenden Rhythmus, bei dem wirklich jeder mit musste; und im herbstlich strahlenden Sonnenschein kam rasch eine heitere Stimmung bei allen Beteiligten auf.

Am Nachmittag standen dann Vertrauensübungen auf dem Programm. Unter anderem setzten sich 4 Auszubildende auf gleich viele Stühle, die in einem Viereck angeordnet waren. Anschließend legten wir uns mit dem Rücken auf die Oberschenkel des Vordermannes. Sobald wir glaubten wir hätten eine stabile und sichere Lage eingenommen, zogen die Zuschauer langsam die Stühle weg. Es funktionierte perfekt.

Viel Spaß und Einfallsreichtum entwickelten wir anschließend beim so genannten „Spinnennetz.“ Zwischen zwei Bäumen spannte sich ein ca 2m hohes und 3m breites Spinnennetz mit verschieden großen öffnungen in allen Höhen. Unsere Aufgabe bestand darin gemeinsam von einer Seite des Netzes auf die andere zu gelangen – möglichst ohne die Seile zu berühren. Frau Heuß staunte nicht schlecht, denn mit viel Ausdauer und Geschick halfen wir uns gegenseitig durch die Wirren des Netzes. Nach einer kurzen Pause legten wir die Klettergurte an und erklommen, mit Hilfe der Absicherung der eigenen Kollegen einen Baum Namens "Birte". Es war schon interessant, den Kollegen, der sonst neben dem eigenen Arbeitsplatz mehr oder weniger still programmiert nunmehr in luftiger Höhe über sich schnaufen zu hören. Der erste Tag verlief also durchweg positiv und wir ließen ihn bei einem prasselnden Lagerfeuer ausklingen.

Samstag, 23.09.2006

Dieser Tag wird uns wohl ewig in Erinnerung bleiben, gingen wir doch ein ums andere Mal an unsere Grenzen. Zunächst wanderten wir ein Stück durch den Wald und hielten auf einer Wiese inne. Dort bekamen wir weitere Instruktionen: allen Sehbehinderten wurden Augenbinden ausgehändigt. Danach erhielten wir ein etwa 10m langes Seil, mit welchem ein Quadrat gebildet werden sollte. Das war jedoch nur eine Aufwärmübung und von uns schnell gemeistert. Anschließend wurden wir in zwei Dreiergruppen aufgeteilt. Dabei stellte sich eine Begleitperson zur Verfügung, da wir ja nur zu fünft angetreten waren. Diese sechste Person durfte nur ausführen, was die anderen ihr sagten, und den Standort nur durch Pfeifen oder Stampfen anzeigen. Beide Gruppen bekamen jeweils ein Seil aus denen diese – jeweils unabhängig voneinander – zwei gleichseitige Dreiecke legen sollten. Nach kurzer Planung und Besprechung nahmen wir auch diese Hürde. Was dann folgte, kostete uns viel Schweiß und Nerven. Beide Dreiecke sollten so aufeinander gelegt werden, dass sich am Ende ein Stern ergibt. Dieses Unterfangen erfordert äußerst viel Absprache und kommunikatives Handeln. Dass wir es mit zwei unterschiedlich langen Seilen zu tun hatten, das eine war einen halben Meter kürzer, bemerkten wir viel zu spät – im Laufe der Übung – und wir haben uns ziemlich darüber geärgert, dass wir ein so vermeindlich wichtiges Detail übersehen hatten. Rund zwei Stunden später und in praller Mittagssonne schwitzend, legten wir ein passables Ergebnis vor und sanken ins Gras hernieder.

Nach einer Mittagspause kam, rückblickend für uns das High Light des Wochenendes – die Übung mit dem „Säureteich.“ Auf einer Wiese wurde mit einem Seil ein Teich von ca 3m Durchmesser markiert. In der Mitte lag eine Rotweinflasche, die es zu bergen galt. Wir mussten uns nunmehr damit abfinden, dass der „Teich“ mit Säure gefüllt war und so durfte kein Körperteil oder Gegenstand das Innere des „Teiches“ berühren. Das einzige Hilfsmittel, das uns zur Verfügung gestellt wurde, war das nervige 10m lange Seil vom Vormittag. Da waren wir anfänglich bedient. Unser Einfallsreichtum die arme Weinflasche zu retten war schier grenzenlos. Nein, ganz ernst gemeint, und es würde zu lange dauern unsere Versuche zu beschreiben. Schlussendlich haben wir in Millimeterarbeit einen Knoten des Seiles in den Boden der Flasche platziert und diese ganz behutsam und konzentriert über die unebene Landschaft navigiert, bis unser Längster in der Gruppe die Flasche, während er von den anderen gestützt wurde, ergreifen konnte und triumphierend, unter dem Jubel der anderen, in die Höhe streckte. Allen wird diese Leistung und das Ergebnis wohl noch lange in Erinnerung bleiben.

Auch wenn schon alle etwas müde waren stand am Abend noch eine Projektarbeit an. Aus verschiedenen Materialien (Papier, Zeitung, 4 Klopapierrollen, 3 Joghurtbecher, Tesa, Klebestift, Strohhalme) sollte eine Brücke konstruiert werden. Da wir uns vor dem Wochenende als Ziel eine Verbesserung des Informationsaustausches gesetzt hatten, erhielten wir unterschiedliche Details, als uns der Brücken-Bauauftrag erteilt wurde. Die Brücke sollte: 15 cm hoch sein, eine volle Wasserflasche tragen können, dem Kunden werbewirksam präsentiert werden; ausschließlich die eben aufgezählten Materialien standen zur Verfügung. Zur Fertigstellung hatten wir genau 60 Minuten Zeit. Es war nicht einfach – nach dem hinter uns liegenden Tag und den Grilldunstschwaden, die verheißungsvoll in unseren Arbeitsraum zogen – sich noch einmal zusammenzureißen und sich konzentriert an einer Papierbrücke zu versuchen. Nach getaner Arbeit verlief die Präsentation in entspannter Atmosphäre.

Sonntag, 24.09.2006

Am letzten Tag stand noch eine Expedition im Niedrigseilgarten auf dem Programm. Dieser besteht aus mehreren etwa in 30cm Höhe angebrachten Drahtseilen, die zwischen Bäumen gespannt sind. Die Bäume stehen in einem Abstand von 2 bis 3 Metern auseinander. Über den Laufseilen sind auf den ersten Teilstrecken Hilfen befestigt. Unsere Aufgabe bestand darin, gemeinsam von einem Ende des Seilgartens zum anderen zu gelangen, ohne dabei den Boden zu berühren. Fielen einer oder mehrere herunter, musste von vorn begonnen werden. Auch diese Übung, gleichwohl sie viel Teamarbeit und Konzentration abverlangte erledigten wir nicht nur bravourös, sondern immer mit einem lockeren Spruch auf den Lippen, was nicht immer einfach war, wenn man sich konzentrieren sollte.

Bei der abschließenden Besprechung stellten wir einvernehmlich fest, dass wir dieses Outdoor-Training nie missen wollten, und dass es uns – menschlich, aber auch als Arbeitsgruppe – näher zusammengeführt hat. Die Natur gegen den Büroalltag zu tauschen war erfrischend, innovativ und für weitere Projekte anregend.

Für Julia Heuss war das Wochenende nicht nur ein wichtiger Schritt zu ihrem Abschluss als Diplom- Sozialpädagogin, sondern auch die Realisierung eines Traumes. Der Beweis, dass ein Outdoor-Training auch mit sehbehinderten und blinden Menschen durchführbar ist. Und so gebühren ihr in diesem Artikel die letzten Worte: Es war eine unglaublich tolle Erfahrung für mich, die einmal mehr den uralten Satz bestätigt: Nicht weil es schwierig ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwierig!"