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Unterwegs im Namen des Spiels

von Dominik Steinhoff

David mit Trikot des FC Liverpool

David Georgi hat ein spezielles Verhältnis zum Fußball. Seit seinem zwölften Lebensjahr ist er vollständig blind. Und weiterhin vernarrt in das Spiel – bis heute hat er Live-Partien im Radio auf mehr als 500 Kassetten und 300 CDs gebannt. Nicht nur das: der Marburger reist dem Fußball hinterher. Überall auf der Welt.

David Georgis Sehleistung verschlechtert sich seit er fünf Jahre alt ist kontinuierlich. Das beeinträchtigt ihn auch beim Fußballspielen. „Ich habe mich nicht ganz zurückgezogen, aber ich war draußen auf dem Bolzplatz eben nicht mehr so präsent. Und ein Ort, an dem ich trotzdem Fußball hatte, war eben der Platz vor dem Radio.“ Die WM 1990 schließlich bezeichnet er als Knackpunkt. Er beginnt Live-Spiele aufzunehmen, zunächst noch, weil die neuartige Aufnahmetechnik mit dem Kassettenrekorder reizt. Aus dem anfänglichen Hobby wird eine echte Leidenschaft.

Wir fragen ihn, ob er bei seinen Mitschnitten ausgesiebt habe oder tatsächlich alles auf seinen Tapes verewigte. „Ich würde nicht sagen alles“, antwortet Georgi nach kurzem Zögern, „aber krankerweise muss ich gestehen, dass es deutlich in die Richtung ging. Wenn ich mal in den Urlaub gefahren bin, habe ich jemanden damit beauftragt, die Spiele für mich aufzunehmen.“

Die Anfänge der Radioreportage liegen in England. 1927 begann die BBC, die Spiele der First Devision in voller Länge zu übertragen. David Georgi zeigt uns einen Abdruck aus einer englischen Zeitung des Jahres 1927, ein in acht so genannte „Squares“ unterteiltes Spielfeld. Der Clou: der Zuhörer kann das Spiel auf dem Zettel verfolgen, während er der Reportage lauscht. Georgi spielt uns eine frühe Aufnahme des englischen Livekommentars vor. Man hört zwei Reporter. Einer schildert das Geschehen auf dem Platz, der andere informiert immer wieder über den Square, in dem sich der Ball gerade befindet. „Two. Now three. Two again.“ Das Konzept setzt sich durch. Wenig später gibt es auch in Deutschland Radioreportagen von Fußballspielen. Poster aus der times als .pdf

„Es ist interessant, wie sich die Sprache verändert hat“, erzählt Georgi. Bei einem Spiel zwischen Deutschland und England im Jahre 1930 hätten die Reporter Sätze wie „Der Kampf steht mittlerweile unentschieden“ von sich gegeben. Reportage mit Schulterklappen. Bis weit in die 60er Jahre hinein ist der schneidende, teilweise kriegerische Ton Markenzeichen der Michels und Zimmermanns. „Mit der Generation um Manni Breuckmann wurde es dann moderater, die Reportage passte sich der Alltagssprache an.“ Allerdings, bemängelt der Radio-Kritiker, zu viele Anekdoten fern des aktuellen Spielgeschehens würden das Hörerlebnis deutlich trüben. „Mir gefällt da das Konzept bei ´Radio five live´ besser. Ein Reporter setzt den Zuhörer über die harten Fakten in Kenntnis. Wie ist der Spielstand? Was passiert gerade? Wer spielt wo, und hat welche Aufgabe? Ein zweiter Reporter, meist ehemaliger Spieler oder Trainer würzt das Live-Erlebnis mit taktischen Kritiken, und genauer Spielbeobachtung.“

Ein anderes Konzept würden wiederum die Portugiesen verfolgen. „Hier sitzen gleich mehrere Sprecher im Studio, die fangen bereits vier Stunden vor dem Spiel an wild durcheinander zu babbeln. Immerhin: die Portugiesen sind extrem fair und objektiv.“

Wir kommen noch einmal auf das Aufnehmen zurück. Nimmt er jetzt, mit 30, noch immer Spiele aus dem Radio auf? Nein, sagt Georgi, die Zeiten sind vorbei. Von 1990 bis 2004 sei er dieser speziellen Leidenschaft nachgegangen. „Ich genieße die Spiele jetzt viel mehr und muss nicht mehr jede Partie verfolgen.“ Geblieben ist ein geradezu akustisches Fußballgedächtnis, manche Radioreportagen aus den 90er-Jahren kann Georgi fast wortgetreu vervollständigen. „Mein Vater hat immer gesagt: Junge, geh doch zu ´Wetten, dass…?´“,

In Zukunft wird David Georgi, der vollständig erblindete Fußball-Fan, die Welt erkunden. Mit dem Mikrophon. Er öffnet eine Audio-Datei, reicht den Kopfhörer über den Tisch. Helle Stimmen, vermischt zu einem lauten Fußball-Chor. „River Plate“, lächelt unser Gesprächspartner, „Sensationell. Alle stehen, wo sie wollen, es fließt Bier von oben, auf der Tribüne wird gegrillt. In der Halbzeit werden die Ergebnisse auf den anderen Plätzen durchgesagt, ansonsten hört man nur Gesänge der Fans. Das ganze überflüssige Rahmenprogramm aus den Lautsprechern, das in Europa inzwischen Standard ist, entfällt. Das ist fantastisch.“

Vom Fußballvirus ist der Mann also nicht geheilt. Allerdings: „Fußball ist ja schön und gut. Aber wenn man nicht aufpasst, hat man irgendwann keine Freunde mehr.“ Seine zukünftige Frau ist da härter im Nehmen. Die Flitterwochen sind bereits verplant. Das Ehepaar Georgi fliegt nach Costa Rica. „Zufällig“, sagt der Abenteurer im Namen des Balls und grinst, „findet dann dort das letzte Gruppenspiel in der WM-Qualifikation statt.“

Erschienen in Heft 6 3 Ecken ein Elfer